Frenzy Höhne
Leo-Breuer-Preisträgerin 2024
22.9.2024–5.1.2025
Die Jury zeichnet in diesem Jahr die in Leipzig lebende Konzeptkünstlerin Frenzy Höhne aus. Aus Dingen des Alltags entwickelt sie Objekte, Installationen, Fotografien und Grafiken, die die Werte und Bedürfnisse der zeitgenössischen Gesellschaft thematisieren und auf humorvolle, sensible und mitunter ironische Weise in Frage stellen. Ihre raumgreifenden Arbeiten und Publikums-Aktionen überzeugten die Jury aufgrund ihrer hohen Aktualität, pointierten Ausführung und minimalistischen Formensprache. Frenzy Höhnes Werke nehmen kritisch Bezug auf unser Konsumverhalten sowie auf die uns umgebende Welt individuellen Strebens und nicht enden wollender Gewinnoptimierung.
Ausstellungseröffnung: Sonntag, 22.09.2024, 12.00 Uhr
Begrüßung: Dirk Ufermann, Vorstand gkg
Einführung: Dr. Alexandra Käss, Ausstellungsleiterin LVR-LandesMuseum Bonn
Öffnungszeiten: Mi–Fr 15–18 | Sa 14–17 | So 11–17 Uhr
Veranstaltungen:
artist talk: ein Abend mit Frenzy Höhne
Freitag, 8.11.2024, ab 18 Uhr
Finissage: Neujahrsempfang und Katalogvorstellung mit Frenzy Höhne
5.1.2025, 12 bis 17 Uhr
Die gkg zeigt die Preisträgerinnenausstellung in Kooperation mit dem LVR-LandesMuseum Bonn. Der zum dreizehnten Mal verliehene Leo-Breuer-Förderpreis geht auf eine Initiative von Jacques Breuer, dem Sohn Leo Breuers, zurück.
Laudatio von Dr. Alexandra Käss
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, Liebe Gäste,
haben Sie sich heute schon Ihre Vorteile gesichert?
…
Sie schauen so verwundert… Ich sehe es Ihnen an: Sie denken: Hm? Vorteile sichern? Was redet sie da?
Na, sehen Sie, ich meine:
Haben Sie heute schon per 3-2-1-meins ein Schnäppchen erworben? Oder haben Sie wenigstens clever ihr Einkaufen optimiert – passgenau zwischen Sonderposten, Gütesiegel und Preisschlager? Das Günstigste, das Neueste, das Vorteilhafteste erstanden?
Längst ist doch „drei zwei eins meins“, der Slogan von Ebay, ein geflügeltes Wort, und der Satz „sichern Sie sich Ihre Vorteile“ ist mittlerweile so sehr zum allgemeinen Diktum einer alles überflutenden Werbeindustrie geworden, dass ich beim Versuch herauszufinden, welche Marke oder welcher Dienstleister ihn als Slogan führt, gescheitert bin, weil ihn nicht einer sondern offenbar unzählige Anbieter tagtäglich auf Werbepostkarten und in Onlineanzeigen drucken.
Es sind die Versprechen einer allumfassenden Konsummaschinerie – von „Drei für den Preis von zwei“ bis zu „All you can eat“ und „Nie war Shopping so leicht“. Sie umschwirren uns täglich, so sehr, dass wir kaum noch über sie nachdenken und doch zugleich subtil von ihnen gedrängt und geschubst, beeinflusst und zugedröhnt werden. Und während wir vielleicht denken, dass gerade uns doch so ein Quatsch gar nicht beeinflussen kann, wir uns eben doch gelegentlich ganz unbewusst beim Gedanken ertappen, ob bei Kaufland nicht wirklich „Gutes doch so billig sein kann“ und vielleicht der Einkauf dort daher lohnender als anderswo.
Und selbst wenn wir unberührt auf all die Slogans, Angebote und Pseudoweisheiten schauen – sie sind in der Welt, sie sind überall und sie sind nicht nur Begleiter sondern auch Symptom unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Und weil Sprache und Text auch Realität prägen und umgekehrt von Realitäten geprägt werden, sind all diese Sätze auch ein Stück weit atmosphärisches Rauschen unseres gelebten Alltags, sind Spiegel von ständigem Optimieren und Konsumieren, von Verheißung und manchmal auch von Gier.
Frenzy Höhne, die wir heute Abend als dreizehnte Trägerin des Leo Breuer Preises ausgezeichnet haben, ist eine scharfe Beobachterin unserer Zeit. Das atmosphärische Dauerrauschen der Konsumgesellschaft, das wir im Alltag meist gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, sondern stetig unterschwellig in uns aufnehmen, rückt sie in mehreren ihrer Arbeiten und Werkserien fast verspielt und dennoch schmerzlich treffgenau und plötzlich überdeutlich für uns als Betrachtende in den Blick: indem sie es ironisch bricht oder besonderes Augenmerk auf die Störgeräusche des Rauschens richtet.
Da sind die historisch barocken Porzellanfiguren, die in poppig-glatte Einfarbigkeit getaucht, ihrer feinen Kleidung somit quasi beraubt, dennoch ihre elegante Pose und das aristokratische Flair beibehalten, nun aber mit Einkaufstaschen frisch vom Shopping zu kommen scheinen. Und diese Taschen tragen ausgerechnet in großen Lettern all jene Slogans, die die Werbung des 21. Jahrhunderts unter die Menschheit streut. Die adlige Dame und das elegante Paar, der Offizier und die spielenden Kinder – sie waren einst Figuren, die von den Freuden des Tafelns und Tanzens, von der Liebelei oder dem Idyll sprechen; durchaus auch von Adel und Oberschicht, von Wohlergehen, hohem Stand und gutem Leben aber auch von Sinnenlust und Lebensfreude. Zeichen von Hochkultur und Selbstverständnis einer anderen Zeit. Nun scheinen sie in einem seltsamen Zwiespalt jener vergangenen Lebensreichtümer, den materiellen wie den immateriellen, und der Umwidmung zu mehr oder minder glücklichen Einkäufer*innen einer nie endenden Warenwelt des Kapitalismus unseres 21. Jahrhunderts, zu neuen Figuren mutiert zu sein. Selbst wiederum von Frenzy Höhne aufgestellt in einer Art Warenregal, befragen sie Werte und Wertigkeiten.
Anders hingegen, und doch genauso pointiert fotografisch vor unsere Augen gerückt, sind jene Szenen, die Menschen von nebenan, dich und mich, in Schlangen vor leergeräumten kleinen Kaufhäusern und verlassenen Ladengeschäften zeigen, wartend, sich anstellend. Jede und jeder von ihnen ebenfalls mit üppig großen Einkaufstaschen ausgerüstet, deren vielversprechende Slogans in augenfälliger Schieflage zu den nie mehr öffnenden, verlassenen Relikten einstiger Fachgeschäfte stehen. Ahnen – oder genaugenommen wissen – wir doch, dass jene Fachgeschäfte wohl nie mehr öffnen werden, sondern längst angesichts Unternehmen wie Amazon und Temu dem endgültigen Untergang geweiht sind.
Frenzy Höhne erlaubt uns nicht selten einen Moment des Schmunzelns. Doch zugleich verlockt und zwingt sie uns umso mehr zum Hinsehen, einem Hinsehen, das uns am Ende nachdenklich, ja gar mitunter erschrocken stimmt. Sie schaut auf die Strukturen der Gesellschaft und der Welt in der wir leben und befragt sie eindrücklich pointiert. Dabei ist der Blick aber kein ferner, keiner, bei dem wir als Einzelne aus sozusagen sicherer Distanz ganz theoretisch bleiben könnten und auf eher abstrakte Größen wie „die Politik“, „die Industrie“, oder jedenfalls doch „die Anderen“ verweisen dürften. Vielmehr rückt das, worauf Frenzy Höhnes Arbeiten aufmerksam werden lassen, auch uns als Einzelnen im Alltag ganz schön nah. Wirft Fragen auf. Sind wir Menschen, ja ist jede*r Einzelne in der Welt des 21. Jahrhunderts am Ende zuallererst doch nur noch Konsument? Konsument in den Augen einer omnipräsenten werbestarken Industrie? Und wie sehr bin ich Teil dieser Strukturen, wie habe ich mich in ihnen eingerichtet, lebe sie selbst? Bemerke ich sie überhaupt noch, bin ich in ihnen längst absorbiert? Was sind meine Werte und Wertigkeiten?
Denn seien Sie ehrlich, liebe Zuhörer*innen, haben Sie sich heute zum Beispiel schon upgedatet? Sind ihre Apps alle auf dem neuesten Stand? Besitzen Sie die neue Playstation und das aktuellste Smartphone-Modell? Sind sie versucht, ihr Fernsehgerät doch NOCH eine Nummer größer zu kaufen oder planen sie, ihre Haushaltsgeräte endlich so upzugraden, dass ihre Funktionen per App steuerbar sind – wir wollen ja nicht altmodisch sein? Fragen Sie sich, ob sie etwas Neues brauchen?
Neu Neuer Neuerer Neuererer Neuerererer…. hat Frenzy Höhne in einer ihrer Arbeiten auf Tableaus gestempelt und in diesen Steigerungsformen des eigentlich doch inhaltlich gar nicht steigerbaren Wortes „neu“ das stete Versprechen nach Neuem und noch Neuerem sprachlich wie inhaltlich ad absurdum geführt. Aus der Verheißung der Innovation wird in der blinden Vervielfachung ein leeres Ornament. Auge und Gehirn verlieren schließlich das Wort aus dem Blick und streifen nur noch halt- und inhaltslos über ununterbrochene neuerererererererererer-Silben. Und die Frage darf sich regen, inwiefern im täglich als neu und immer neuer Angepriesenen tatsächliche Innovationskraft in gleicher Weise zum Ornament des nur noch vermeintlich Innovativen verpufft? Gut Besser Noch Besser Noch Besser Noch Besser… In einer anderen ihrer Arbeiten druckt Frenzy Höhne im Hochdruckverfahren auf Karton diese Worte, so lange bis die zunächst satt schwarze, dann aber mehr und mehr verbrauchte Farbe auf der Druckplatte schließlich ermattet zum müden Grau und dann zusehends unsichtbar wird.
In mehreren anderen Werkserien hat sich die Künstlerin mit Fähnchen, Fahnen und Flaggen beschäftigt. Und auch hier erlaube ich mir, Sie zu fragen: wann haben Sie eigentlich zuletzt ein Fähnchen geschwenkt? Vielleicht bei der Fußball EM? Und singen Sie eigentlich die Hymne mit bei sportlichen Großevents? Oder ist Ihnen das alles etwas peinlich, wenn Sie die Fähnchenschwenker und Hymnensinger sehen? Finden Sie eher, dass Flaggen nur vor Bundestagen und bei Staatsempfängen, oder vielleicht noch bei Olympia auf dem Medaillenpodest am rechten Ort sind? Oder irritieren Sie nationale Signale auch da? Beschleicht Sie vielleicht ganz allgemein eher Sorge, gegenüber nationalen Symbolen wie Fahnen? Gerade dieser Tage? Waren diese Signale eigentlich harmloser, als weiland Amundsen die norwegische Flagge am Südpol hisste, oder Armstrong die Amerikanische auf dem Mond? Was sollte das eigentlich heißen – diese Fahnen am Pol und am Mond? Drei zwei eins Meins? Dieser entlegene Ort gehört nun unserer Nation, weil ich zuerst dort war?
Der Flagge als Symbol und vermeintlicher Identitätsstifterin, der Flagge als Ortsbesetzer und Eigentumsmarker spürt Frenzy Höhne in Arbeiten wie „Einheit“ oder „neue Ebene“ nach.
Für „Einheit“ hat sie eine ganze Zahl kleiner schwarz rot goldener Deutschlandfähnchen eng zusammengerollt und an kurzen Besenstielen so an der Wand befestigt, das sie fast wie ein horizontales, doch leicht in die Schräge gerutschtes Nagelbrett aus ihr hervorstehen. Oder mag man einen geordneten Aufmarsch denken? Die Fähnchen-Rollen haben integrierten Sound und spielt symbolträchtig die deutsche Nationalhymne ab – doch weil der Sound mehrerer Fähnchen zugleich, dabei aber leicht zeitversetzt erklingt, entsteht eine recht schräge zumindest aber vielstimmige Hymnenkakophonie. Die suggerierte Einheit in akustischer Schieflage? Ein Identitätssymbol im offenkundigen Missklang?
Die Fahnen von „neue Ebene“ hingegen sind gerade keine Nationalflaggen. Vielmehr erinnern sie mich – mit Verlaub liebe Frenzy Höhne – ein wenig an die Küchenhandtücher meiner Oma. Wer allerdings genauer hinsieht und ein wenig Computer-affin ist, wird bemerken, dass das dunkelgrau hellgraue Karomuster des Fahnenstoffes in Wahrheit genau jenes leere Dummy-Muster ist, mit dem man im Bildbearbeitungsprogramm Photoshop eine „neue Ebene“ anlegt, in der dann noch Text, Grafik oder Bild einzufügen sind. Ein Muster, das sozusagen und im übertragenen Sinne „noch offenen Freiraum“ markiert. An Häuserwänden und auf Plätzen, in Siedlungen und an Lost Places hat Frenzy Höhne diese Flaggen im Stadtraum platziert und stimmt uns nachdenklich über Symbole und Symbolik: Wird hier Besitz ergriffen oder eben gerade Freiraum markiert? Wird der vermeintliche Identitätsstifter zur Leerstelle oder doch viel mehr zur gewonnenen und proklamierten Offenheit?
Symbole und bildlich Ikonisches – wie in einer anderen Arbeit beispielsweise Dürers berühmte betende Hände, die zum Volksgut aller großmütterlichen Wohnstuben, zur Kunst für Jedermann, wurden – bilden in Frenzy Höhnes Werken ebenso wiederkehrende Bezugspunkte, wie immer wieder die Sprache – vom Slogan bis zur Worthülse aber auch zu Liedern und Sinnsprüchen. So lassen Sie mich zum Schluss noch kurz von jenen Arbeiten sprechen, in denen Frenzy Höhne eine gewaltige Sammlung alter und neuer Lebensweisheiten, geflügelten Worten und Zitaten zusammengetragen hat, die dann in einer endlosen Tonbandschleife eingesprochen wurden. Eine noch weiter wachsende Arbeit, wie sie mir sagte. Da darf man beispielsweise tags oder nachts im Außenbereich an einem Picknicktisch Platz nehmen, ihn natürlich auch nutzen und rasten, während sich fast unbemerkt eine endlose Folge alter wie neuer Lebensweisheiten und textlicher Versatzstücke aus aller Welt und aus zwei Jahrtausenden ins Ohr schleicht. In so ununterbrochener Folge, dass man kaum die eine von der anderen zu trennen vermag und wenig Zeit findet, über einzelne von ihnen nachzudenken. Und dennoch erkennen wir zahlreiche von ihnen wieder. Sie sind uns vertraut als Rat in schlechten Zeiten oder als Hoffnung auf Gutes, als Moment der Selbsterkenntnis oder als harmlos verklausulierte durchaus aber strenge Regel oder Norm. Die einen sind tröstlich, die anderen nachdenklich, manche auch bei genauer Betrachtung höchst fragwürdig, und alles in allem geht es in jeder von Ihnen ums Menschsein: gestern und heute, hier und überall auf der Welt. Und hoffen wir nicht alle darauf, dass der Titel der Arbeit sich bewahrheitet: Kommt Zeit – kommt Rat.
Meine Damen und Herren, Frenzy Höhnes Arbeiten sind Zustandsbeschreibungen und Befragungen unserer Zeit, die sie konzeptuell und präzise, oft in ganz reduzierter Formensprache auf den Punkt bringt. Zugleich aber sind sie auch erzählerisch, gar poetisch. Der Höhne’sche Kosmos, wenn ich das so sagen darf, liegt dabei zwischen Lächeln und Grübeln, zwischen Absurditäten und Identifikationen. Das hat die Jury des Leo Breuer Preises überzeugt, mit Ihnen, liebe Frenzy Höhne genau die richtige diesjährige Preisträgerin gefunden zu haben. Und wer nun Lust bekommen hat, Frenzy Höhnes Arbeiten nicht nur als Bildpräsentation im Hintergrund zu sehen, sondern tatsächlich im Ausstellungsraum, dem sei die morgen um 12 Uhr eröffnende Ausstellung in der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, gar nicht weit von hier am Hochstadenring empfohlen.
Herzlichen Dank.“
Die gesellschaft für kunst und gestaltung wird gefördert von der Bundesstadt Bonn.
Alle Abbildungen ©VG Bild-Kunst, 2024/ Frenzy Höhne: